Sonntag, 9. Oktober 2011

Poetischer Spaziergang durch den herbstlichen Augarten

Nicht traurig sein, dass der Sommer vorbei ist. Auch die dritte Jahres­zeit hat ihre schönen Seiten und inspirierte Dichter immer wieder zu zauber­haften Gedichten, wie den folgenden.

Auf dem Weg in den Augarten



Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

Rainer Maria Rilke


Hauptportal Augarten

Wiener Porzellanmanufaktur Augarten 
www.augarten.at





Septembermorgen

Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.

Eduard Mörike






Einer von zwei Flaktürmen im Augarten




Der Herbst

Viele Drachen stehen in dem Winde,
Tanzend in der weiten Lüfte Reich.
Kinder stehn im Feld in dünnen Kleidern,
Sommersprossig und mit Stirnen bleich.

In dem Meer der goldnen Stoppeln segeln
Kleine Schiffe, weiß und leicht erbaut;
Und in Träumen seiner leichten Weite
Sinkt der Himmel wolkenüberblaut.

Weit gerückt in unbewegter Ruhe
Steht der Wald wie eine rote Stadt.
Und des Herbstes goldne Flaggen hängen
Von den höchsten Türmen schwer und matt.

Georg Heym






Spätherbst

Schon mischt sich Rot in der Blätter Grün,
Reseden und Astern sind im Verblühn,
Die Trauben geschnitten, der Hafer gemäht,
Der Herbst ist da, das Jahr wird spät.

Und doch (ob Herbst auch) die Sonne glüht –
Weg drum mit der Schwermut aus deinem Gemüt!
Banne die Sorge, genieße, was frommt,
Eh Stille, Schnee und Winter kommt.

Theodor Fontane


Montag, 19. September 2011

Der Marokkanerbrunnen in Wien-Landstraße

Im drit­ten Wiener Gemeinde­bezirk Landstraße befindet sich einer der ungewöhn­lichs­ten und farben­präch­tigs­ten Brunnen Wiens, der 1999 eröffne­te Marok­kaner­brun­nen. Das reich mit Mosai­ken ver­zier­te Bau­werk war ein Geschenk des damali­gen Königs von Marok­ko, Hassan II., an das öster­rei­chi­sche Volk, in Erinne­rung an die lang­jähri­gen freund­schaft­lichen Bezie­hun­gen zwischen Öster­reich und Marok­ko.

Marokkanerbrunnen in der Marokkanergasse

Die im tra­di­tio­nel­len marok­ka­ni­schen Stil errich­te­te Brunnen­anlage steht auf einem kleinen Platz vor dem Anton-Schmid-Hof, Zauner­gasse 12–14 bzw. gegen­über dem Haus Marok­ka­ner­gasse 7 (Stadtplan).

Die Marok­ka­ner­gasse erhielt ihren Namen bereits um das Jahr 1790 in Erin­ne­rung an den 1783 erfolg­ten Besuch einer diplo­ma­ti­schen Abord­nung aus Marok­ko, welcher zum Abschluss eines Handels-, Friedens- und Freund­schafts­ver­tra­ges führte. Lange Zeit gab es in Wien auch eine zweite Gasse, die den Namen Marok­ka­ner­gas­se trug. Zur Besei­ti­gung der Dop­pel­bezeich­nung wurde jedoch 1862 die im zweiten Wiener Gemein­de­bezirk Leopoldstadt gelege­ne Gas­se in Afri­ka­ner­gas­se umbe­nannt.

Straßenschild Marokkanergasse mit Bezirksangabe

Der Marok­ka­ner­brun­nen ist ein Werk der Hand­werks­meis­ter MDAGHRI ALOUI Moulay Hafid (Zellige und Kera­mik­arbei­ten) und BELLAMINE Kamal (Ziegel­vor­dach und Holz­skulp­tu­ren).





Unter den kunst­vollen Holz­ver­zie­rungen ver­läuft ein vor­wie­gend in Weiß und Blau gehal­te­nes Mosa­ik­band mit ara­bi­schen Inschrif­ten. Es han­delt sich hier­bei um die Wid­mung und einen Aus­zug aus einem Koran­vers. Neben den Inschrif­ten, die auf fünf Text­felder auf­ge­teilt sind, fin­den sich auch die – eben­falls aus Zellige-Fliesen gefer­tig­ten – Flag­gen Öster­reichs und Marok­kos sowie abschlie­ßen­de Orna­men­te. (Zur Gesamt­ansicht siehe ers­tes Bild von oben.)

Arabische Inschriften auf dem Frontgiebel

Die deutsche Über­set­zung der arabi­schen Inschrif­ten lautet gemäß der neben dem Brun­nen befind­li­chen Erklä­rungs­ta­fel:

Wid­mung:

Geschenk des König­reiches Marok­ko
Während der Regierungs­zeit von
Hassan II. König von Marokko

An das befreundete öster­rei­chi­sche Volk zum
Andenken an die Tausend­jahr­feier Öster­reichs

Anmerkung: Die ange­spro­che­ne Tau­send­jahr­feier Öster­reichs fand im Jahr 1996 statt, somit drei Jahre vor der Eröff­nung des Marok­ka­ner­brun­nens. Das Jubi­lä­um bezieht sich auf die ers­te schrift­liche Nen­nung des Namens Öster­reichs in der soge­nann­ten Ostarrichi-Urkun­de aus dem Jahr 996.


Koranvers (Auszug):

Und sprecht: Wir glauben an das,
was zu uns herab­gesandt wurde
und was zu euch herab­gesandt wurde;
und unser Gott und euer Gott ist einer;
und Ihm sind wir ergeben.

29. Sure (Al-Ankabut – Die Spinne) Vers 46











Freitag, 24. Juni 2011

Yellow Fog - Am Hof im gelben Nebel

Der maleri­sche Platz Am Hof im 1. Wiener Gemein­de­be­zirk ist vor allem be­kannt durch die beein­drucken­de Kirche am Hof, welche das selte­ne Patro­zinium "Zu den neun Chören der Engel" trägt.

Platz Am Hof mit Kirche am Hof und Mariensäule

Wenn die Abend­dämme­rung herein­bricht, wird die Auf­merk­sam­keit des Betrach­ters jedoch jäh von der pracht­vol­len Kir­chen­fassa­de auf ein ver­gleichs­weise unschein­ba­res Gebäu­de, die Zen­tra­le des Ener­gie­kon­zerns Verbund, gelenkt. Grund dafür ist die Licht­installa­tion "Yellow Fog" des däni­schen Künstler­stars Olafur Elias­son, die seit Okto­ber 2008 die Fassa­de des Fir­men­gebäu­des ziert.

Firmensitz des Verbunds Am Hof 6a

Mit seinem Werk "Yel­low Fog", das täg­lich eine Stunde ab Ein­setzen der Dämme­rung zu erle­ben ist, thema­ti­siert Elias­son den Über­gang vom Tag zur Nacht. Dieses Natur­phä­no­men wird gera­de in der Stadt oft nicht bewusst wahr­ge­nom­men, denn per­ma­nen­te elek­tri­sche Beleuch­tung macht hier auch die Nacht tag­hell.

"Gelb ist eine schöne und gleichzeitig gefährliche Farbe."
Olafur Eliasson

Technisch mög­lich wird die Illu­mi­na­ti­on durch 32 Leucht­stoff­röh­ren. Diese befin­den sich unter einem Gitter, das ent­lang der 48 Meter langen Fassa­de der Ver­bund-Zen­tra­le in den Geh­steig ein­ge­las­sen ist.

Die Leucht­stoff­röhren tauchen den Kunst­nebel, der alle drei Minu­ten für jeweils 40 Sekun­den an der Fassa­de hoch­steigt, in strah­lend gel­bes Licht. Das Gebäu­de bekommt auf diese Weise einen eben­so flüch­ti­gen wie geheimnisvollen Nebel­schleier, der schließ­lich über den Platz ent­weicht.


"Yellow Fog" ist ein be­mer­­kens­­wer­­tes Bei­­spiel für Kunst im öffent­­li­chen Raum. Das außer­­ge­­wöhn­­li­­che Licht­kunst­werk, das die Gren­ze zwi­schen Gebäu­de und Platz ver­schwim­men lässt, erschließt sich jedoch nicht sofort. Das Pub­li­kum ist – wie immer bei Elias­son – gefor­dert, sich mit allen Sin­nen auf das Werk ein­zu­las­sen und seine Wahr­neh­mung zu schär­fen.

Wer daher das sub­til abge­stimm­te Zusam­men­spiel von Licht, Farbe und Nebel nicht auf sich wirken lässt, wer blind ist für die zarte Schönheit des ephemeren Nebelschleiers, wer achtlos an der Fassade, die sich im gelben Lichtgewand zeigt, vorbeiläuft, wird von "Yellow Fog" gründlich enttäuscht sein und nicht mehr sehen als Nebelschwaden und gelbe Leucht­stoff­röhren.


Gera­de bei rein gestal­te­ri­sch ein­ge­setz­ter Beleuch­tung wird der teil­wei­se enor­me Ener­gie­ver­brauch oft – zu Recht – kri­ti­siert. Daher ist posi­tiv her­vor­zu­he­ben, dass die von Elias­son geschaf­fe­ne Licht­in­s­tal­la­ti­on das Gebäu­de gezielt für eine Stun­de in Szene setzt und nicht die ganze Nacht­zeit hin­durch in vol­ler Inten­si­tät beleuch­tet. Dies ins­be­son­de­re aufgrund der Tat­sache, dass es sich beim Fir­men­sitz des Ver­bunds um kein stadt­bild­prä­gen­des Gebäu­de han­delt.

Spiegelung der Kirche am Hof im linken Fenster

Pünktlich eine Stunde nach Einsetzen der Dämmerung beginnen sich die letzten gelben Nebelschwaden zu verziehen, und der Kirche am Hof, mittlerweile in den dunklen Mantel der Nacht gehüllt, ist wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit sicher.



Hier noch ein­mal die Eck­da­ten dieses beson­de­ren abend­li­chen Spa­zier­gangs im Über­blick:

Was? Lichtinstallation "Yellow Fog" von Ola­fur Elias­son
Wo? Fassade der Verbund-Zentrale, Am Hof 6a, 1010 Wien
Wann? Täglich eine Stunde ab Ein­bruch der Abend­dämme­rung


Mehr über Olafur Eliasson:

Ausgewählte Medienberichte: